Der Berliner Religionsfriede

© 2005 Silvia Friedrich

Die Berliner haben Schuld, daß sie an Allerheiligen arbeiten müssen. Die Berliner haben auch Schuld daran, daß Sie am Reformationstag arbeiten müssen. Überhaupt ist der Grund dafür, daß wir in Berlin in der Feiertagsliste ganz unten stehen, in der Mentaliät der Hauptstädter zu suchen.

An einem schönen Augusttag des Jahres 1325 hielt ein Anhänger des damaligen Papstes, der Probst Nikolaus von Bernau, in der Marienkirche eine Predigt. Klar, daß er die ewig nörgelnden Einheimischen, deren höchstes Lob sich auch heute noch in einem "Kammanimeckern" ausdrückt, etwas rügte. Er soll sie ein wenig gescholten haben, mehr auf die Stimme des Papstes zu hören. Immerhin sei man ja noch im Mittelalter, das erst in gut 150 Jahren aufhörte und nur wer sich hier auf Erden ausgiebig gräme, käme später ins Paradies.

Mußten ihn die Berliner denn dafür gleich lynchen? Vor der heute so harmlos dastehenden Marienkirche, kam es an diesem heißen Augusttag zu einem Aufruhr. Der Probst wurde von einer wütenden Menschenmenge ermordet und gleich darauf auf dem Neuen Markt verbrannt. Natürlich war der amtierende Papst extrem aufgebracht. Und was macht ein aufgebrachter Papst, zumindest damals? Er bedient sich des Kirchenbannes. Dabei hatte er die Wahl zwischen einem kleinen und einem großen. Für die Berliner konnte der Bann gar nicht groß genug sein. Dieser ungläubigen Bande mußte einmal richtig gezeigt werden, wer der Bestimmer war. Johannes, der XXII. verhängte also 1325 den Kirchenbann über Berlin und Cölln, was bedeutete, daß Geistliche weder Taufen noch Eheschließungen noch Begräbnisse vornehmen durften. Außerdem war auch das Handeltreiben verboten. Und das alles für sehr sehr lange. Ganze 22 Jahre wurde dieser Bann nicht aufgehoben. Es ist heute kaum noch vorstellbar, was das bedeutete. Keine Eheschließungen durften vollzogen werden, demnach gab es wilde Ehen schon im 14. Jahrhundert. Die erste Kommune 1 existierte also lange vor Rainer Langhans und der Obermaier Uschi. Es gab keine Taufen mehr und wenn jemand starb, wurde der nur irgendwie verscharrt. Es schien, als ob man in Rom die Berliner vergessen hatte. 22 Jahre sind lang. Möglicherweise glaubten die religiösen Würdenträger im warmen Süden, diesen Wilden da im Osten ist sowieso nicht zu helfen. Den Berlinern aber schien es zu gefallen. Schon 120 Jahre später machten diese nicht zu bändigenden Menschen erneut auf sich aufmerksam. Statt sich daran zu erinnern, daß schon der Papst sehr lange sehr sauer auf sie gewesen war, wehrten sie sich nun massiv gegen die neuen Landesherren, die Hohenzollern. Unter anderem wurde da die Baugrube des Stadtschlosses unter Wasser gesetzt. Und das sicher nicht nur einmal. Jeder Bauherr weiß, was das heißt. Sie schreckten auch nicht davor zurück, grade aufgebaute Schloßmauern wieder einzureißen. Später ging dieses postpubertäre Verhalten als "Berliner Unwille" in die Geschichte ein.

Es scheint, als ob alle, die jetzt in der Hauptstadt leben und arbeiten, sich bei diesem unwilligen Völkchen zu bedanken haben für nur 9 unscheinbare Feiertage. Die Erfahrung lehrte, daß es überflüssig war, diesen Atheisten einen Fronleichnamstag oder eine "Maria Himmelfahrt" zu schenken. Die meisten dachten dabei sicher sowieso nur an eine Karussellfahrt auf den vielen Rummelplätzen der Stadt oder erinnern sich bei den "Heiligen Drei Königen" an eine Gesangstruppe aus dem Varieté. Ganz anders da unsere bayrischen Freunde. Mit ganzen 13 zusätzlichen freien Tagen können sie aufwarten. Die Gründe dafür sind offensichtlich. Nie hörte man etwas vom "Bayrischen Unwillen" oder daß jemand aus Bayern den Vatikan gewässert hätte. Gehorsam schloß man sich im Alpenland stets den Meinungen des jeweiligen Kirchenoberhauptes an und darf dafür heutzutage auch an 4 zusätzlichen Feiertagen in die Kirche gehen. Selbst die Baden-Württemberger und die Saarländer scheinen gehorsam den Worten der Kirchenmänner gefolgt zu sein. Schließlich können sie 12 Feiertage vorweisen. Die Sachsen sind, wie einst ihr König August, etwas unschlüssig. Der tändelte auch von hier nach da, mal Protestant, mal Katholik. Und so zählt in Sachsen nur in bestimmten Gemeinden, im Landkreis Bautzen und im Westlausitzkreis, der Fronleichnamstag als Feiertag. Die Nordrhein-Westfalen, Thüringer, Rheinlandpfälzer und Sachsen-Anhalter verreisen an 11 zusätzlichen Feiertagen. Die Hessen, Mecklenburger und selbst die Brandenburger können sich an 10 weiteren freien Tagen einen schönen Lenz machen. Und dann, ganz weit hinten, kommt das Schlußlicht: die Berliner. Daß die Holsteiner, Bremer, Hamburger und Niedersachsen auch nicht besser dran sind mit mageren 9 Tagen, Weihnachten und Ostern bereits mitgezählt, hilft uns auch nicht viel weiter. Diese ungläubigen Berliner Zeitgenossen, die sich weder für den Katholizismus noch das Protestantentum begeistern konnten, sollten endlich Frieden schließen. Die Zeit ist reif für eine Änderung. Wenn die Berliner versprechen, die nächsten 100 Jahre weder aufmüpfig noch unwillig zu sein, wenn sie versprechen keine Baugruben von Regierenden zu wässern, keine Mauern, wie grade vor Kurzem geschehen, wieder einzureißen, wenn sie lernen, daß es sich beim Buß-und Bettag weder um den "Tag der offenen Tür" bei der BVG noch um einen Aktionstag im Dänischen Bettenlager handelt, dann könnte man ihnen doch auch den einen oder anderen zusätzlichen Feiertag zubilligen. Vielleicht auch nur, damit sie sich im Radio eine Papstrede anhören können.