Zur Fastnachtszeit

© 2006 Silvia Friedrich

Für uns Nordlichter ist das Treiben um den Karneval fast immer ein Rätsel. Mögen sich Handel und Industrie noch so sehr anstrengen, den Bewohnern oberhalb des Weißwurstäquators und weit entfernt von Rhein und Ruhr, die seltsamen Verkleidungspraktiken nahezubringen. Es scheint hoffnungslos. Zu sehr empfindet man hier die bunten Fetzen, die Anfang des Jahres in den Kaufhäusern auftauchen, als Fremdkörper, das närrische Treiben als aufgesetzt und unverständlich. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß Rheinländer neuerdings karnevalistisch missionierend durch die Hauptstadt ziehen.

Wie eine Expedition in ferne Welten mutet eine Reise an, die beispielsweise zur Faschingszeit ins Werdenfelser Land führt. Im Alpengebiet um Garmisch-Partenkirchen, Mittenwald, Oberammergau und Murnau begegnet man einer "Fosanacht" lebendig und ursprünglich wie nirgendwo sonst im bayrischen Raum. Viel altes Brauchtum der Vorfahren hat sich hier erhalten können. Der frühere Mensch fühlte sich der in seinem Glauben beseelten Natur schutzlos ausgesetzt. In seiner Welt bestimmten Geister und Dämonen den Ablauf des Lebens, und diese galt es zu beschwichtigen oder zu vertreiben. Beschwörungskulte und das Tragen furchterregender Masken halfen dabei. Krach, Schreien und Brüllen, ein "Heidenlärm" ertönte, um sowohl die bösen Geister zu vertreiben als auch die guten zu wecken und zu locken. Jeder der "Maschkera" trägt auch heute noch eine alte holzgeschnitze Larve, die oft Jahrzehnte und länger im Familienbesitz ist. Diese vollendet geschnitzten Kunstwerke sind stilisierte Holzgesichter, die dem Betrachter trotz aller Starrheit sehr ausdrucksvoll erscheinen. Das Maskenschnitzen gehört zur Werdenfelser Volkskunst und wurde hier zur Perfektion gebracht. Claus Hansmann, Verfasser des Werkes "Masken, Schemen, Larven" behauptet, im Gegensatz zur Alemannischen Fasenacht stehe bei diesen Masken nicht das Ungeheuerlich-Schreckhafte, das Skurril-Lächerliche im Vordergrund, sondern immer sei es das Antlitz des Menschen, das gesucht, geformt und ins Allgemeingültige gehoben werde. So finden wir hier die unterschiedlichsten Typen, "scheane" und "schiache", "guate" und "böase", junge und alte. Ganz wesentlich beim Maschkeragehen ist, daß man nicht erkannt wird und so werden Masken oft untereinander ausgetauscht. Bevor eine Larve aufgesetzt wird, spuckt man hinein, um keine ansteckende Krankheit zu bekommen. Zur Unkenntlichmachung wird weiterhin ein Kopftuch verwendet, das Stirn und Haare bedeckt, darüber kommt die am Hinterkopf festgeknotete Larve und abschließend setzt man einen Hut auf oder bindet ein großes Fransentuch um. Verstellter Gang und raunzende Stimme lassen den Maschkerageher nun völlig unkenntlich werden. Viele urige Gestalten, oft begleitet von Musik, toben in der "Fosanacht" durch die Straßen. So sieht man das "Krätznweibla", die "Jacklschutzer", die "Schellenrührer" oder die "Untersberger Mandlan", um nur einige von vielen zu nennen. Nach Abschluß der Weihnachtsfeiertage, am Heilige Drei Königstag beginnend, dauert dieses außergewöhnliche Treiben bis zum Dienstag vor Aschermittwoch um Mitternacht. Kein Maschkera darf allerdings an bestimmten Tagen dem Narrentum frönen. Verboten ist das Gehen an bestimmten kirchlichen Festtagen, die in diese Zeit fallen.

Laut Überlieferung muß jeder am Faschingsdienstag um Mitternacht seine Holzlarve abnehmen. Hält er sich nicht daran, wächst sie ihm fest an sein Gesicht.

Der Norddeutsche steht und staunt und fragt zu recht, was unsere Vorfahren eigentlich den bösen Geistern und Dämonen entgegengesetzt haben.